AUF DER KARTE ANZEIGEN

FRITZ GRAMSS

DER ALLEINUNTERHALTER

In seinem Heimatort an der Grenze zu Bayern beweist Fritz Gramß, dass Musik weder Alters- noch sonstige Grenzen kennt und Jodeln sich gut mit Charthits verträgt.

„Klar haben wir uns Lederhosen angezogen“, erinnert sich Fritz Gramß. Das Herz des 77-jährigen Musikers und Alleinunterhalters schlägt schon immer für und in Thüringen, aber der Kopf pendelte lange zwischen den Traditionen dies- und jenseits der Grenze. „Wir wollten uns anziehen wie Seppe mit Seppe-Hut und Seppe-Jacke und dann gab’s beim Sportverein einige, die gejodelt haben, und ich habe gemerkt: Das kannst du auch!“ Lauscha liegt nur 20 Kilometer entfernt von Bayern, der Rennsteig ist somit auch die ‚Sprachgrenze‘, das Fränkische schwappt nach Thüringen hinein, genauso wie der Radiosender Bayern 1, in dem Gramß nach 1945 Schlager und Volkslieder in Heavy Rotation hörte. „Das Puchstein-Lied war natürlich der Renner“, so Gramß. Bayerische Folklore vermischte sich selbstverständlich mit der Musiktradition des 3000-Seelen-Ortes, in dem bereits 1860 das erste klassische Orchester gegründet wurde. Bis 1945 existierten zwei Orchester und fünf Chöre mit bis zu 60 Singenden, die unter dem NS-Regime zu SS- und SA-Kapellen umfunktioniert wurden. „Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Musikgruppen sofort umorganisiert, natürlich gesteuert vom neuen Regime. Angeschlossen an die Betriebe wurden Kampflieder gesungen, es gab in jedem Chor einen Parteisekretär“, erinnert sich der passionierte Jodler. „Viele Heimarbeiter, sind abends in die Singstube oder zur Musikprobe gegangen. Die Menschen haben sich den ganzen Tag darauf gefreut, dass sie nach der Arbeit mal wegkommen“, erzählt Gramß, der in Neuhaus zunächst Werkzeugmacher gelernt hatte und im Zuge der Zentralisierung der Betriebe erst als Schlosser und dann als Energetiker arbeitete.

Wir wollten uns anziehen wie Seppe mit Seppe-Hut und Seppe-Jacke und dann gab’s beim Sportverein einige, die gejodelt haben, und ich habe gemerkt: Das kannst du auch!

„Ich habe natürlich erkannt, dass es mit dem Betrieb nicht so weitergehen kann, also habe ich mich 1990 selbständig gemacht. Erst im Arbeitsschutz, aber eigentlich immer mit dem Ziel: Musik“, meint Gramß. Seine erste Schulband gründete der Thüringer in der neunten Klasse, seit 60 Jahren spielt er Akkordeon – aber nicht nur das. „Das war damals das Modeinstrument, da dachte ich: Ich muss was anderes machen und habe erst Klarinette gelernt.“ Aber eigentlich nur, um Saxophonist zu werden, schiebt er lachend nach. „Lauscha war ja ein Kurort und die Urlaubenden wollten unterhalten werden“, sagt Gramß. „Mit 16 Jahren habe ich also Tanzmusik gespielt, mit der Armee kamen die Chöre, ich habe als Musiklehrer gearbeitet und so ging das immer weiter.“

Lauscha war ja ein Kurort und die Urlaubenden wollten unterhalten werden.

Mit dem Jodeln kamen die Lauschataler Jodler, deren Leitung Gramß übernahm. Heute singt er mit acht bis zehn Männern jeden Alters vierstimmig bei den Lauschensteiner Jodlern. Parttime sozusagen, denn sein Geld verdient Gramß mit Auftritten als Alleinunterhalter auf Partys. Folgerichtig, wie er erzählt: „Ab 1990 hat alles nach Keyboard geschrien, dann kamen die Festplatten, aber ich habe schnell gemerkt, dass auf den Familienfeiern schon die Livemusik gefragt ist.“ Nur bei den „modernen Sachen“ käme der Computer dazu, sagt er. „Die kann man ja gar nicht mehr nachspielen.“ Wenn Fritz Gramß heute sein Set-up aufbaut, hat er eine kleine Anlage und den Laptop dabei. „Da sind dann fast alle Lieder drauf von AC/DC bis Helene Fischer“, so Gramß. „Und wenn die Kids mir von neuen Hits erzählen, schreibe ich mir das auf und hab sie beim nächsten Mal dabei, ist ja klar.“

Weitere Akteur*innen kennenlernen